Stur wie ein Esel

Lernverhalten einmal anders

von Raymonde Harland

erschienen in "katzen extra 10/97

 
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Wenn man in die Ecke unter dem Schreibtisch pinkelt, kommt die Menschenfrau wieder nach Hause! Das glauben Sie nicht? Fragen sie Kater Fussel, er ist ein überzeugter Anhänger dieser Theorie. Schließlich hat er sie selbst schon oft erfolgreich in der Praxis angewendet: ist sein Mensch ein paar Tage fort und er wird trotz guter Versorgung durch die Nachbarin des Wartens überdrüssig, so pinkelt er unter den Schreibtisch und schon dauert es nicht lange, bis sein Mensch wieder daheim ist.

Wenn man ein Leckerli haben möchte, muß man am Kratzbaum kratzen! Absurd? Durchaus nicht - Katze Silver kann Ihnen das ganz genau erklären. Sie ist fest davon überzeugt, ihre Menschen so "dressiert" zu haben. Von dieser Überzeugung bringt sie auch niemand ab, denn es klappt nicht immer - aber immer öfter. Sie hat auch durchaus ausprobiert, ob die Menschen auch auf das Kratzen an Möbeln reagieren - ohne Erfolg, nur der Kratzbaum bringt das gewünschte Ergebnis, da ist Silver ganz sicher.

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Mit dem Nachbarkater ist nicht gut Kirschen essen, deshalb muß er angefaucht werden. Da können die Menschen noch so locken und beide streicheln, Katze Bonnie weiß es besser. Einmal, als sie ihren ersten Ausflug aus dem Haus wagte, hat er sie angefaucht. Es war Antipathie auf den ersten Blick und dabei bleibt es! Wenn sie dem Kater an der Haustür begegnet, wird gefaucht. Begegnet sie ihm in einem anderen Teil des Gartens wird nicht gefaucht. Die Menschen begreifen dies Verhalten nicht, dabei befolgt Bonnie nur eine einfache Regel.

Was bringt Katzen dazu stur an ihren Überzeugungen festzuhalten?

Alle diese Verhaltensweisen sind das Ergebnis eines Lernprozesses. Lebewesen lernen auf die unterschiedlichste Art und Weise, doch am besten prägt sich die Erfahrung ein, die durch ein herausragendes Erlebnis entstand. Das Gehirn knüpft einen Zusammenhang zwischen zwei unabhängigen Ereignissen, es ist quasi ein "latentes Lernen" das unbewußt abläuft, eine Art "Selbstdressur"

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In der Verhaltensforschung gilt das Erkennen von Zusammenhängen und das Übertragen von Situationen als ein Zeichen für höhere geistige Prozesse. Der Entdecker dieses Phänomens, E.C.Tolman (1886-1959) wurde zu seiner Zeit verspottet und die zahlreichen Versuche, die er zu diesem Thema machte, wurden ignoriert. Am bekanntesten ist sein Versuch mit einer weißen und einer schwarzen Box. Am ersten Tag wird dazu ein Tier in ein Labyrinth mit zwei Enden gebracht. An jedem Ende befindet sich je eine weiße und eine schwarze Box mit Futter. Am zweiten Tag wird das Tier in eine fremde weiße Box gebracht in der es Futter findet und anschließend in eine schwarze Box gesetzt und dort einem unangenehmen Erlebnis ausgesetzt. Am dritten Tag kommt das Tier wieder in das Labyrinth vom ersten Tag. Dort läuft es sofort in die weiße Box und meidet die schwarze. Es hat also zwei unabhängige Erlebnisse miteinander verknüpft und konnte sein Handeln planen.

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Auch Fussels Überzeugung ist so entstanden. Er war des Wartens überdrüssig und drückte seinen Protest gegen die Abwesenheit seines Menschen durch urinieren aus. Kurz darauf kam sein Mensch zurück. Beide Ereignisse wurden nun von ihm verknüpft. Er hat unbewußt gelernt: will ich meinen Menschen zurück - muß ich unter den Schreibtisch pinkeln. Um ihn von seiner Überzeugung abzubringen ist ein intensives Umlernprogramm nötig. Ist beim Entstehen einer Ereignisverknüpfung oft schon ein einziges Erlebnis genug, so wird für das Umlernen sehr viel Wiederholung benötigt.

Alle Lebewesen versuchen Regelmäßigkeiten in ihrer Umwelt zu erkennen und bilden so ein regelrechtes Regelwerk heraus. Gewohnheitstiere nennen wir sie und ihr stures Festhalten an einmal erkannten Regeln verwundert uns. Doch auch wir Menschen handeln nach den selben Mechanismen. Auch dazu gibt es ein bekanntes Experiment, das sie leicht selber durchführen können. Dazu schreiben Sie zuerst ein Blatt Papier voller Zahlen die sie ganz willkürlich wählen. Dann behaupten Sie einem anderen Menschen gegenüber, daß diese Zahlen nach ganz bestimmten Regeln aufgeschrieben sind und daß er versuchen soll, diese Regeln zu finden. Nach einiger Zeit wird der andere Ihnen Theorien vorstellen, die er herausgefunden hat, etwa von der Art: "jede dritte Zahl in der ersten Reihe ist eine Primzahl" u.ä. Wenn Sie jetzt verraten, daß die Zahlen nicht nach Regeln sondern willkürlich gewählt sind, wird der andere noch geraume Zeit an seinen Überzeugungen festhalten. Er hat scheinbar eine Regel entdeckt, das Chaos geordnet und nun fällt es ihm schwer wieder davon abzulassen. Es geht ihm genauso wie Fussel, Silver und Bonnie!

Die meisten Regeln, die ein Lebewesen im Laufe seines Lebens entdeckt sind natürlich sinnvoll. Sie helfen Energie zu sparen und Reaktionen schnell ablaufen zu lassen. Sie haben sich als sinnvoll im Lebenskampf erwiesen und deshalb ist es auch klug, an ihnen festzuhalten wie ein "sturer Esel".